„Das Lied von Eis und Feuer“ hat eine, die „Chroniken von Narnia“, der „Herr der Ringe“ und „Dune“ auch, die „Harry Potter“ Romane wiederum nicht, dafür fast alle Rollenspiele, ob am Tisch oder als Computerspiel: eine Land- oder Weltkarte. Wer in fremde Gefilde aufbricht, braucht Orientierung und was ist fremder als ein Ort, den es eigentlich gar nicht gibt? Beim Weltenbau gibt eine Karte das gute Gefühl, wirklich etwas aus der Taufe gehoben zu haben. Wenn die eigene Welt aufgezeichnet auf dem Tisch liegt oder auf dem Bildschirm leuchtet, dann wird sie auch ein bisschen realer.
Karten tun viel für die Illusion einer glaubwürdigen Welt
Karten haben diesen eigenartigen Effekt nicht nur auf den Schöpfer einer Welt, sondern auf alle, die in sie eintauchen. Eine Karte sagt: Du begibst dich in eine große, funktionierende Welt, sieh dir nur alle diese Orte an, jeder Punkt mit einer eigenen Geschichte! Damit tut sie viel für die Illusion einer glaubwürdigen Welt: In den meisten Fällen hat nämlich nicht jeder Punkt eine vollständige und ausgearbeitete Geschichte, viele gehen nicht über Notizen oder ihren Namen hinaus. Kaum ein Buch besucht alle Orte, die auf einer beigefügten Karte auch eingezeichnet sind und Spieler von Rollenspielen bekommen oft nicht die Möglichkeit, alle Orte problemlos zu erreichen. Karten geben aber das Gefühl, dass es theoretisch möglich wäre und dass es dort auch etwas zu entdecken gäbe.
Trotzdem sollte man nicht mit einer Karte anfangen
Für einen Weltenbauer ist es damit verführerisch, mit einer Karte anzufangen. Manche Welten entstehen sogar, weil Kartenzeichnen eine eigene Faszination hat und dann plötzlich mehr daraus wird. Daran ist natürlich nichts auszusetzen, doch für systematischen Weltenbau, der bei null anfängt, eignet sich der Ansatz eher nicht. Einige Ratgeber predigen zwar: „Zeichnen Sie zunächst eine grobe Karte Ihrer Welt“. Dabei sei auf eine natürliche Küstenlinie zu achten und danach folgen meist Tipps, wie sich Gebirge, Flüsse, Wälder und Wüsten auf der Karte verteilen lassen. Anschließend werden Grenzen für Länder gezogen, Städte verteilt – fertig! Tatsächlich erhält man damit zunächst einmal nichts anderes als eine leere Hülle, denn alles, was eine fiktive Welt einzigartig macht, fehlt.
Eine Karte gibt nur geografische Beziehungen wieder
Eine Welt ist vor allem nämlich eines: ein Geflecht aus Beziehungen zwischen all ihren Elementen. Eine Karte gibt nur geografische Beziehungen wieder. Wenn andere Elemente wie Spezies, Kulturen, Nationen, historische Ereignisse hinzukommen und in eine bestehende Karte eingefügt werden müssen, kann es schnell zu Logikproblemen kommen: Wenn Königreich A mit Königreich B regen Handel treiben soll, ist womöglich ein Gebirgsmassiv im Weg. Gut, dann wandert Königreich B eben woanders hin, liegt dann aber vielleicht nicht mehr an der Küste, wo es doch eigentlich eine Seefahrernation hätte werden sollen.
Es ist cleverer, diese Beziehungen untereinander zuerst festzulegen und dann mit der Karte zu beginnen. Wer hingegen mit einer Karte anfängt, ist unflexibel und hat bei neuen Ideen viel Korrekturarbeit vor sich (das gilt für Sternenkarten genauso wie für Kontinente). Es ist also ratsam, sich erst über einige grundlegende Ideen zur Welt klar zu werden, bevor die Geografie an die Reihe kommt. Ist man einmal so weit, kann eine Karte wieder sehr nützlich sein: Sie hilft bei der Orientierung und beim „Entdecken“ der eigenen Welt und bietet gleichzeitig einen festen Referenzrahmen, an den man sich halten kann.
Wie man mit den wichtigsten Grundüberlegungen anfängt und diese dann in eine Karte übersetzt, erklärt dieser Gastartikel vom Kartografie-Experten Jonathan Roberts..
Mehr lesen:
Im Blog Labelizer gibt es zwei schöne Beiträge zu Weltenbau und Kartengestaltung, die zwar aus persönlichen Gründen doch mit der Karte begonnen haben, aber interessante Infos über Illustration und Projektion einer Weltkarte sowie die Visualisierung einer Stadtgeschichte mittels Karten liefern.
- Labelizer: Wie ich zum Hobby-Weltenbastler wurde (1)
- Labelizer: Wie ich zum Hobby-Weltenbastler wurde (2)
Titelbild: „
, (CC BY-SA 2.0) Minnesota Historical Society/Flickr
Danke für die Verlinkung.
Ich glaube, es gibt beim Weltenbasteln einfach zwei „Schulen“, halt Bottom-Up und Top-Down und keine ist wirklich falsch oder richtig.
In meinem Fall sehe ich das aus der Perspektive eines Neuankömmlings, der zuerst das allgemeine Ganze sieht und dann die speziellen Eigenheiten herausfindet.
Und allzuschwer ist es mir nicht gefallen spontan eine grobe Geschichte zu den Karten zu entwickeln.
Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen: Wer nur Top-down oder Bottom-up versucht, kommt nicht weit, denn weder den einen noch den anderen Ansatz kann man ganz durchziehen und beide haben Vor- und Nachteile: http://www.weltenbau-wissen.de/2015/01/weltenbau-mit-system
Du hast es ja selbst bei Imzida so gemacht: Erst kam die Weltkarte, dann bist du ganz tief ins Detail und in die Geschichte einer einzigen Stadt gegangen.
Wenn man über Geographie zum Weltenbau kommt, dann ist die Karte sicher die erste sinnvolle Station. Wenn man aber mit einer anderen Grundidee anfängt, dann kann eine frühe Karte viele Kopfschmerzen bereiten: Das fängt bei den Namen von Orten und ihren zugehörigen Sprachen an, die sich vielleicht noch sehr oft ändern, und geht – wie im Artikel beschrieben – bei Kulturen, Politik und Geschichte weiter. Da ist es nicht immer hilfreich, zuallererst eine Karte zu zeichnen, bevor man Ideen für andere Elemente hat.
Erinnert mich daran, dass ich für meinen Autorenblog mal erzählen sollte, womit meine Magierwelt angefangen hat.
Nämlich zwar schon mit einer Karte, aber… ansonsten ziemlich willkürlich.
Die Kurzform ist: Ich habe in ein 5*7cm-Feld einen Kontinent gekritzelt, ihn irgendwie willkürlich in Länder unterteilt, die Länder gezählt und die Zahlen untereinander geschrieben. Um dann per Zufallsprinzip jeder Zahl einen Buchstaben zuzuweisen, mit dem der Landesnahme zu beginnen hatte.
Und mit diesem Kontinent arbeite ich immer noch.
Die Berge, Beziehungen und Hauptstädte kamen irgendwann später…
Ein bisschen Zufallsgenerator also, das ist interessant. Aber mit fehlenden Gebirgen, Städten etc. hast du dich ja auch noch nicht so sehr festgelegt, dass du innerhalb deines Umrisses nichts hättest ändern können. Hattest du ein bestimmtes Element, weswegen du angefangen hast zu schreiben? Irgendetwas, was unbedingt in deiner Welt vorkommen sollte?
Ich hatte eine Geschichte und sehr, sehr viel Langeweile. 90% aller Geschichten, die ich angefangen habe, entstanden eigentlich, weil ich irgendwo drinsaß, mich furchtbar langweilte und dann irgendwas lächerlich Komplizierte und Umfangreiche angefangen habe, um mich zu zerstreuen.
So auch der Bau einer ganzen Welt :).
Inzwischen sind die Gebirge ja eingezeichnet – aber an der Welt arbeite ich seit gut fünf Jahren mittlerweile.
Jetzt bin ich neugierig – kann man irgendwo schon reinschnuppern?
Im Moment nicht, schließlich soll das Ganze irgendwann an einen Verlag gehen und da ist das Herausgeben von Infos vorab immer sehr heikel.
Ich drücke die Daumen!
Es ist klar, dass das nicht dogmatisch gemeint ist, aber der Aussage, dass mit Karte anzufangen nicht gut für systematischen Weltenbau geeignet ist, möchte ich trotzdem widersprechen.
Sicher, wenn man den top-down-Ansatz ganz streng verfolgt, müsste man sich vor dem Kritzeln einer (Welt-)Karte erst noch ein paar Gedanken über Astronomie / Größe der Welt und Plattentektonik machen. Aber davon abgesehen ist für mich (und viele andere, für die die Karte am Anfang einer neuen Welt steht) eine Weltkarte überhaupt erst einer der ersten konkreten Schöpfungsakte. Das Problem, dass dann zwei Länder mit Beziehung_X plötzlich „ungünstig“ zueinander liegen, stellt sich da gar nicht, weil die Beziehung_X (oder auch nur die beiden Länder selbst) noch gar nicht festgelegt ist/sind. Oder andersrum, wenn ich diese Konstellation schon im Kopf habe, dann gestalte ich eben auch die Karte schon so, dass die beiden Länder sinnvoll beieinander liegen.
Wie bei praktisch jedem Aspekt des Weltenbastelns auch muss man aber damit rechnen, dass man auch die Karte ab und an mal ändern muss, wenn sonst Sachen nicht (mehr?) wie gewünscht zusammenpassen. Wenn man sehr an der Karte hängt so wie sie ist – vielleicht eben weil sie der erste Schritt für diese Welt war – tut man sich damit womöglich dann besonders schwer. 😉
Ich möchte ja fast nur sagen „Stay tuned for Montag“, da kommt noch interessanter Nachschlag.
Das Kreuz mit der Karte ist eben, dass man in der Regel den Top-down-Ansatz nicht durchziehen kann. So funktioniert Inspiration und Ideenfindung selten und ich würde behaupten, dass die Initialzündung zu einer Welt nur ganz, ganz selten die Karte ist (Ausnahmen wie die von Marcus/Labelizer bestätigen die Regel). Vorher kommt doch noch eine andere Idee, die ungefähr mit „Hm, ich hätte gerne Welt mit…“ anfängt. Deshalb: Lieber diese Idee ein wenig ausbauen und anschließend über die Implikationen für die Welt nachdenken. Dann fällt es vielleicht später leichter, das Kartenwerk doch zu überarbeiten und es nicht als heiliges Artefakt zu betrachten 😉
Ich bin übrigens sehr neidisch auf die Formulierung „erster konkreter Schöpfungsakt“. Sehr treffend.
„Das Kreuz mit der Karte ist eben, dass man in der Regel den Top-down-Ansatz nicht durchziehen kann.“
Na dann sag das doch. 😉 „Der systematische Ansatz geht in der Praxis nicht konsequent“ ist ja ne andere Aussage als „Mit einer Weltkarte anzufangen eignet sich nicht für den systematischen Ansatz“. Oder reden wir jetzt aneinander vorbei?
„ich würde behaupten, dass die Initialzündung zu einer Welt nur ganz, ganz selten die Karte ist“
Hmm, es mangelt ganz eindeutig an repräsentativen Umfragen unter Weltenbastlern, was da der Normalfall und was die Ausnahme ist. 😀 Ich denke nämlich, die Grundidee zu vielen Welten ist etwas in der Art von „ich will eine EIGENE Welt, so ähnlich wie [hier bekannte Vorlage wie z.B. Mittelerde, Aventurien, Babylon 5 einfügen], aber ohne die Sachen die mich daran stören“. Will sagen, da ist wahrscheinlich noch nix, was sich direkt in der Weltkarte niederschlagen würde, wenn man’s erstmal weiter ausbaut. Umgekehrt finde ich aber, dass eine konkrete Karte einen guten Anschub für „hier könnte das sein und dort dasunddas“-Ideen gibt, die einem ansonsten im „luftleeren Raum“ nicht so leicht zugeflogen kommen. 🙂
Vielleicht bin ich auch einfach recht cartophil was das angeht. 😉 Mit Karte einer Welt (und sei sie auch noch so grob und schematisch) habe ich immer sofort das Gefühl, mich orientieren zu können, und das ist mir persönlich sehr wichtig.
Wir können die Diskussion aber auch einfach auf Montag vertagen, ich warte gerne auf den neuen Artikel. Und auf die Wendung „erster konkreter Schöpfungsakt“ erhebe ich keinerlei Nutzungsvorrechte. 😉