Peter V. Brett Dämonenzyklus Welt

Wie Peter V. Bretts Dämonenzyklus Islam-Vorurteile schürt

Im Dämonenzyklus von Peter V. Brett sind die Krasianer eine von zwei bestimmenden Kulturen der Welt. Das Wüstenvolk ist ein gutes Beispiel für Weltenbau, der sich bei vielen Quellen aus der realen Welt bedient und diese Elemente neu zusammensetzt. Leider zeigt es auch, was dabei schiefgehen kann. Eine Dekonstruktion.

Spoiler-Warnung: Obwohl die Handlung von Bretts Büchern in diesem Artikel keine große Rolle spielt, werden Elemente diskutiert, die man erst im Verlauf der Buchreihe entdeckt.

Peter V. Brett will sich nicht in die gängigen Muster moderner Fantasy-Literatur fügen. Der amerikanische Autor hat sich deshalb für seinen Dämonenzyklus auch von Kulturen inspirieren lassen, die abseits des europäischen Mittelalters liegen. Er ist sehr erfolgreich, die bislang erschienen vier Bände wurden in viele Sprachen übersetzt und sind auf der ganzen Welt erhältlich. In einem Interview aus dem Jahr 2011 antwortete er auf die Frage, ob die dadurch entstandene Kultur der Krasianer auch für aktuelle Konflikte in der Welt stünde: „Es war nie meine Absicht, über meine Geschichten auf soziale oder politische Themen aufmerksam zu machen, aber so etwas passiert einfach, wenn man eine komplexe, überzeugende und nach Möglichkeit unvorhersehbare Fantasy-Welt erfindet. […] Ja, ich war es auch Leid, ständig von Rittern und Schwertkämpfen zu lesen, das wollte ich einfach nicht in meinen Büchern.“

Einige Leser empfinden die Krasianer als Karikatur des Islams.

Die Frage wird ihm häufiger gestellt, denn die Krasianer scheinen eindeutig dem arabischen Kulturraum nachempfunden zu sein. Die andere beherrschende Kultur in Bretts Dämonenzyklus erinnert an ein ländliches, mittelalterlich-rückständiges Europa oder Amerika, komplett mit einer dem Christentum ähnlichen Religion. Parallelen scheinen offensichtlich.

In der Einleitung zum Interview wird Brett aber auch als „vielleicht einer der besten und raffiniertesten Weltenbauer überhaupt“ vorgestellt. Überhaupt gilt seine Welt vielen Rezensenten als erfrischend. Für einige Leser ist der angesprochen Konflikt aber ein großes Problem: Sie empfinden die Krasianer als brüske Karikatur des Islams, klischeebeladen und beleidigend. Das stört die Immersion, einige steigen deswegen sogar ganz aus den Büchern aus.

Wie passen Bretts Erfolg, das Lob für seinen Weltenbau und solche Reaktionen zusammen? Brett selbst besteht darauf, dass die negative Sichtweise auf sein Wüstenvolk viel zu kurz greife. „Die Krasianer nur mit der arabischen Welt zu vergleichen, wird ihnen nicht gerecht. Ich habe mich bei den antiken Griechen, dem feudalen Japan, dem antiken bis mittelalterlichen Persien und jüdisch-christlichen Elementen aus dem Alten Testament bedient“, erklärt Brett in einem anderen Interview.

Brett wollte also aus vielen Elementen und Konzepten unserer Welt etwas Neues, Einzigartiges schaffen. Ein guter Ansatz, denn Originalität und Erfindungsreichtum sind Kernvoraussetzungen, um eine fiktive Welt anziehend und faszinierend zu machen. Was ist also schiefgelaufen?

Bretts Inspirationsquellen

In der Welt des Dämonenzyklus steigen jede Nacht Dämonen aus dem Erdinneren empor und gehen auf die Jagd. Die Menschheit ist auf eine Handvoll Städte und Siedlungen dezimiert, in denen sie sich verschanzen auf einen nächsten Morgen hoffen. Nur eine Stadt stellt sich noch allnächtlich den finsteren Kreaturen entgegen: Krasia. Wie würde eine Kultur aussehen, in der nichts so wichtig ist, wie dieser Kampf? Brett hat sich dafür entschieden, alle Aspekte seiner Krasianer darauf auszurichten, vom Alltag bis zur Ethik.

Die Krasianer glauben an einen Erlöser, der dereinst die Menschen einen und von der Dämonenplage befreien wird. Bis dahin gilt es, den nächtlichen Kampf durchzuhalten und sich auf die Ankunft dieses Erlösers vorzubereiten – das Motiv, das Brett jüdischen und christlichen Vorstellungen entnommen hat.

Die Gesellschaft ist in einem strengen, hierarchischen Kastensystem organisiert: Oben stehen die religiösen Führer, unter ihnen die hoch angesehene Kriegerkaste, die sich Nacht für Nacht den Dämonen entgegenstellt. Darunter folgen Handwerker und Händler, und schließlich Nicht-Gläubige und Nicht-Krasianer. Dieses System entspricht vage der feudalen japanischen Gesellschaft der Edo-Zeit. Der ein oder andere mag sich auch an das bekanntere indische Kastensystem erinnert fühlen.

Die Krieger Krasias bekämpfen die Dämonen äußerst diszipliniert und professionell, darauf werden sie seit ihrer Kindheit in Kampfschulen gedrillt. Neben einer komplexen waffenlosen Kampftechnik ähnlich Judo und Kung-Fu sind ihre bevorzugten Waffen Schilde und Speere. Damit kämpfen sie in Formationen wie der antiken griechischen Phalanx: Einheiten bewegen sich als Ganzes, jeder Krieger schützt mit seinem eigenen Schild seinen Nebenmann.

All diese Elemente offenbaren Bretts breite Palette an Inspirationsquellen. Aber wo kommen die arabische Kultur und der Islam ins Spiel?

1001 Nacht, das volle Programm bitte

Zu erfolgreichem Weltenbau gehört auch, bekannte Konzepte und Stereotype so einzusetzen, dass Lesern das Eintauchen in die Welt leichter fällt. Dieser Prozess funktioniert assoziativ: Alle Elemente der Welt gleicht der Leser mit Bekanntem ab, um es einzuordnen. Dabei werden die beschriebenen Elemente vom Leser um Kontext angereichert, der gar nicht beschrieben wurde. Wenn zum Beispiel von Rittern die Rede ist, denken Leser auch an Burgen, Pferde, Könige. Wer ein Fantasy-Buch in der Hand hält, denkt vielleicht auch gleich an Drachen, Zauberer oder Elfen.

Brett wollte Assoziationen erleichtern.

Brett wollte seiner Mixtur einen Anstrich geben, der diese Assoziationen erleichtert und die Krasianer nicht mehr nur als heterogenen Mix erscheinen lässt: „Krasia basierte ursprünglich auf dem mittelalterlichen Japan. Aber als ich das erste Buch schrieb, passierte 9/11. Ich war damals in New York, also unmittelbar dabei. Ich konnte es gar nicht verhindern, dass mich dieses Ereignis beeinflusste“, berichtet er in einem weiteren Interview.

Aus einem fernöstlichen Anstrich wurde ein nahöstlicher. Dabei habe dieses Element anfangs nur „30 Prozent“ ausgemacht. Trotzdem hat er alles andere damit kräftig überpinselt, und es wird schnell klar warum: Krasia liegt in der Wüste, erbaut aus Lehm und Sandstein. Prachtvolle Paläste aus Marmor mit goldenen Kuppeln, Basare und Tempel mit Minaretten dominieren die Stadt. Von dort rufen die Geistlichen zum Gebet und zum Kampf. Die Krasianer tragen Pluderhosen, heißen Ahmann asu Hoshkamin, Hasik, Abban oder Kasaad. Sie essen Datteln aus Körben, die aus Palmwedeln geflochten sind und die auf Kamelen angeliefert werden. Frauen sind verschleiert. Für Krieger steht ein riesiger Harem bereit.

Gegen die Summe dieser Elemente kommen alle anderen Quellen von Bretts Weltenbau im Spiel der Assoziationen nicht an. Zu stark sind die Bilder der Länder und Konflikte im Nahen Osten, die wir seit Jahren in den Nachrichten sehen, zu sehr sind die erzählerischen Motive aus 1001 Nacht im kollektiven kulturellen Gedächtnis verankert. All das ist sofort präsent. Leser setzen Krasia mit ihren Vorstellungen vom Orient gleich.

Es geht hier nicht um die Frage, ob Leser den Krasianern „nicht gerecht“ werden, wenn sie sie auf diese Motive reduzieren, denn das hat Brett ganz alleine hinbekommen. Es geht vielmehr darum, was er aus der Entscheidung gemacht hat, die Krasianer so sehr nach orientalischem Vorbild zu formen.

Brett nutzt gezielt Klischees.

Denn Brett spielt nicht nur mit vagen orientalischen Motiven, sondern nutzt gezielt Klischees islamischer Gesellschaften: Von wenigen Ausnahmen abgesehen haben Frauen in der öffentlichen krasianischen Gesellschaft praktisch nichts zu sagen, sie gehören ihren Männern, die außerdem in der Regel mehrere Ehefrauen haben. Nur Ungläubige zählen noch weniger, ungläubige Frauen dürfen selbstverständlich straflos vergewaltigt werden. Es gibt direkte Äquivalente zu Allah („Everam“) und dem Koran („Evejah“), selbst zum Ausdruck „Inschallah“ („Inevera“). Der Evejah verbietet den Genuss von Alkohol und Schweinefleisch. Der Kampf gegen Dämonen ist ein heiliger Krieg. Wer im Kampf fällt, gelangt in ein Paradies voller Jungfrauen. Die Krasianer sind in Stämme zersplittert, die keine Gelegenheit auslassen, sich gegenseitig „Brunnen zu stehlen“. Strafen für Verbrechen sind drakonisch, und was Gesetze nicht regeln, regelt die Ehre („seine Ehre ist grenzenlos“, „er ist bloß ein ehrloser Händler“).

Platte Klischees sind unverantwortlich

Die Krasianer sind in vielen Aspekten Abziehbilder des heutigen Islam in seiner extremsten Auslegung. Sie sind in Teilen Iran und Saudi-Arabien, sie sind die Taliban, sie sind der sogenannte Islamische Staat, zurückverlegt in eine mittelalterlich anmutende Gesellschaft. Brett bedient damit aktuelle, in der westlichen Welt weit verbreitete Vorurteile gegenüber dem Islam, verpackt in 1001 Nacht.

Für einen interessanten Konflikt zwischen verschiedenen Kulturen hätte er in seiner Welt sicher nicht den Islam als Vorbild gebraucht. Er transportiert und verstärkt bewusst heutige Vorurteile – aus Faulheit, denn der Kampf der Kulturen ist ein so präsentes Konzept aus unserer Gegenwart, dass er sich auf seine Wirkung verlassen kann. Er bemüht sich nicht einmal um eine Allegorie, die mit eigenen Ideen fasziniert. Er kopiert einfach.

Noch dazu bedient er sich beim Islam nur oberflächlich, anstatt die Gelegenheit zu nutzen, interessante historische Facetten herauszuarbeiten. Hätte er sich mit seiner Recherche mehr Mühe gegeben, hätte er sich vielleicht die Blütezeit des Islam zum Vorbild genommen, als in Zentren wie Bagdad oder Südspanien das Wissen der Antike konserviert wurde und Wissenschaften und Künste neue Höhenflüge erreichten. Oder er hätte vielleicht Saladin entdeckt, den brillanten Strategen, der Jerusalem von den Kreuzrittern zurückeroberte und gleichzeitig einer von vielen islamischen Führern war, die Toleranz gegenüber anderen Glaubensrichtungen walten ließen. Beides Beispiele, die praktischerweise aus dem Mittelalter stammen und deswegen gut zu seiner Welt gepasst hätten.

Als Autor kann er sich nicht der Verantwortung entziehen.

Er gibt ja nicht einmal zu, dass er kopiert: „Es war nie meine Absicht, über meine Geschichten auf soziale oder politische Themen aufmerksam zu machen, aber so etwas passiert einfach, wenn man eine komplexe, überzeugende und nach Möglichkeit unvorhersehbare Fantasy-Welt erfindet.“ Mit seinen Krasianern beweist er leider weder besonderen Erfindungsreichtum, noch kann er sich als Autor einfach dieser Verantwortung entziehen. Niemand hat ihm diese Welt so vorgesetzt. Sie ist nicht „passiert“.

Einige Fans verteidigen ihn, schließlich gehe es hier immer noch um Fantasy, da müsse man drüber hinwegsehen können. Doch erfolgreiche Fantasy beeinflusst unsere Popkultur, unsere kollektive Weltanschauung, unser kulturelles Gedächtnis. Auch sie hat Einfluss darauf, wie wir unsere Welt und was in ihr geschieht wahrnehmen. Es ist ein legitimes und nützliches Mittel, im Weltenbau auf reale Vorbilder zurückzugreifen. Aber Recherche und eine angemessene Darstellung dieser Vorbilder gehören dazu.

Guter Weltenbau bringt uns etwas über uns selbst und unsere Welt bei. Er eröffnet neue Perspektiven und beschränkt sich nicht auf die Bestätigung etablierter Stereotype.


Titelbild: Coverbild „The Daylight War“ (c) Del Rey Books

17 Gedanken zu „Wie Peter V. Bretts Dämonenzyklus Islam-Vorurteile schürt“

  1. Sehr interessanter Verriss,

    ich habe seine Bücher bisher nicht gelesen und habe es auch nicht vor. Finde es toll, dass der Blog weitergeht, nach der langen Sommerpause.
    Zunächst, gibt es irgendwelche Quellen bezüglich der Leser, die sich von den Büchern abwenden mit der Begründung, dass ihnen die stereotype Islam-Verarbeitung nicht gefällt?
    Das Motiv des Erlösers ist nicht wirklich rein christlich oder jüdisch, das gibt es in etlichen Religionen, im Islam ist es der Mahdi (https://de.wikipedia.org/wiki/Mahdi).

    Bezüglich der Verantwortung des Autors gegenüber seinem Werk stimme ich dir zu. Allerdings würde ich Brett hier keine böse Absicht unterstellen. Die psychischen Folgen und Auswirkungen, wenn man direkter Zeitzeuge eines solch einschneidenden Ereignisses wie 9/11 wird, dürften durchaus drastisch genug sein, dass sie ihn auch ohne aktive und bewusste Entscheidungen dazu bringen, bestimmte Dinge auf bestimmte Weisen zu verarbeiten. In diesem Fall also eine sehr westliche Sicht auf „den“ Islam (den es so als Block genauso wenig gibt wie „das“ Christentum).

    Ein schöner Vergleich wäre hier (vielleicht ein weiterer Artikel?) mit Tolkien anzustellen, der vom ersten und zweiten Weltkrieg offensichtlich geprägt wurde und sich der damals gängigen rassistischen Konzeptionen umfassend bediente. Man denke nur an Orks, die vom „Bösen“ mutierte, durch und durch grausame, hässliche und bösartige „Rasse“. Assoziationen mit Nazis und Sauron als Hitler sind nicht zufällig, sondern den zugrundeliegenden Mustern geschuldet. Oder nehmen wir die Zwerge: klein, bärtig, auf Materielles und Wohlstand aus, eigen, kaum im Kontakt mit anderen und haben eine eigene Sprache und Religion (entgegen der Mainsteramreligion, die sich Elfen und Menschen teilen). Das entspricht fast 1:1 den Stereotypen, die bis ins 20. Jh. hinein über europäische Juden gehegt und gepflegt wurden.
    Oder nehmen wir die Elfen als Kulturnation-Deutsche, die von Sauron (Hitler) in Orks (Nazis) mutiert worden seien (obwohl die Verführungslegende historisch unhaltbar ist).
    Daher fände ich es gut, hier mal mit der Ikone der Fantasy ebenso kritisch ins Gericht zu gehen, auch wenn er kein Amerikaner ist, an dem man die anti-amerikanischen Gefühle bedienen kann.

    Viele Grüße und vielen Dank für den Artikel,
    Eld

    1. Ich unterstelle Brett auch keine böse Absicht – nur Faulheit. Andere Aspekte seiner Welt hat er mit einer Tiefe ausgestaltet, dass die klischeebeladenen Krasianer dagegen umso mehr schmerzen. Selbst wenn das seine Sicht auf „den Islam“ wäre, gibt er das ja nicht einmal zu, sondern behauptet, das sei halt einfach so passiert, diese Verweise auf moderne Konflikte und Diskussionen seien keine Absicht. Naja. Auf Weltenbau Wissen geht es ja vor allem um die Frage, wie guter Weltenbau gelingt – Bretts Instant-Orient-Rezept für die Krasianer gehört nicht dazu, deswegen mal ein Negativbeispiel 😉

      Bezüglich der Quellen über Leser habe ich diese sehr kontroverse Diskussion auf Goodreads verlinkt. Auch in AMAs mit Brett auf Reddit kam das Thema immer wieder auf.

      Mit Tolkien hast du sehr recht! Allerdings sehe ich diese Dinge schon historisch und im Kontext seiner Zeit. Am Ende von diesem Artikel gehe ich ganz kurz darauf ein, was du ansprichst. Heute müssen wir einfach besser sein als Tolkien!

    2. Naja, die Zwerge entstammen doch wohl eher der germanischen Mythologie – Fafnir und Alberichs Schatz wehen einen doch beim Hobbit äußerst eindeutig an. 😉 Ans Judentum hätte ich da zuletzt gedacht.
      Zudem sind zwar die Orks als böse Rasse konzipiert, aber ein guter Teil der furchtbarsten Taten werden von Elben (z.B. Feanor, Maeglin, …) und Menschen (z.B. Ar-Pharazôn) begangen, der Rest von Morgoth, Sauron und Saruman (gefallene-Engel-Mythologie) – die Orks sind einfache Handlanger, die selbst nichts entscheiden.
      Die Gut-Böse-Verteilung funktioniert bei Tolkien meiner Meinung nach nicht so einfach. Und das ist für mich auch der springende Punkt:
      Man kann ja durchaus unsere Welt kopieren und leicht abändern. Aber wenn man es dabei belässt, ist es halt faul. Weltenbau beginnt für mich da, wo man weiterbaut, differenziert, hinterfragt, und eben nicht Klischees und Vorurteile einfach übernimmt.

      1. Bezüglich der Zwerge:
        Wenn du das Konzept „Zwerg“ nimmst und am Begriff festmachst und als „Mensch, aber in Klein und bärtig“, dann kann man das natürlich als aus der germanischen Mythologie abgeleitet sehen.
        Wenn man sich die Eigenschaften anschaut, die den Zwergen in Mittelerde stereotyper Weise zugewiesen werden, sind die Parallelen zum europäischen Judenklischee jedoch auch vorhanden. Ich würde sogar davon ausgehen, dass Tolkien bewusst nur an die germanische Mythologie dachte und vermute, dass sich die Judenstereotype da unbewusst eingeschlichen haben, ohne böse Absicht zu sein. Ich würde das auf die Wirkmächtigkeit zeitgenössischer Denkmuster und Konzepte zurückführen.

        Dass ein Teil der furchtbaren Taten von „guten“ Elfen und Menschen begangen wird, widerspricht ja nicht meiner Kritik, es fügt nur an, dass Tolkien das auch eingebaut hat. Die Orks als „böse Rasse“ widerlegt das ja nicht und allein, dass es das Konzept einer „bösen Rasse“ in Mittelerde gibt, zeigt halt, dass Tolkien ein Kind seiner Zeit ist und das Rassenkonzept nicht abgelegt hat. Während er zur weiteren Differenzierung gefallene Engel und böse Elfen einbaut, fehlt es an guten Orks. Diese bleiben stereotype flache Statisten, die kollektiv stigmatisiert werden.

        1. Ich würde bei Kritik an Tolkiens Weltenbau immer zwei Dimensionen beachten: Die eine ist das Werk, wie es ist – da finde ich deine Argumente sehr wichtig. Nach diesen Maßstäben sollten wir auch den Weltenbau jüngerer Werke bewerten. Die andere Dimension ist die historische: Wir können heute auf einen gewaltigen Pool an Welten zurückgreifen, die uns Ideen geben, Inspiration liefern, aber auch zeigen, was nicht so gut gelaufen ist. Das konnte die Generation von Tolkien nicht – das Konzept „fiktive Welt“ hat sich in vielen verschiedenen Schritten entwickelt (hier mehr zu Weltenbau seit der Antike). Mit Tolkien erreichte das wiederum eine neue Stufe an Komplexität. Damals eine Revolution, aus heutiger Sicht hat das Werk selbstverständich Schwächen, die man auch benennen darf – denn nur so kann man daraus lernen.

          Ich finde deine Argumentation deswegen wichtig, weil Tolkien manchen als Goldstandard beim Weltenbau gilt. Das hat einige Archetypen im Weltenbau etabliert, die ich gerne nicht mehr sehen würde – zum Beispiel die Rassenkonzepte rund um nichtmenschliche Völker.

        2. Von was für Judenklischees sprechen wir eigentlich? Mir ist das leider noch nicht klar.
          Germanische Zwerge sind menschenähnliche, kleinwüchsige Leute, die vorwiegend unterirdisch wohnen und sich entsprechend mit Edelmetallen und Juwelen bestens auskennen. Außerdem haben sie Zauberkräfte, sind begabte Schmiede (auch von magischen Gegenständen) und haben in der Regel für Menschen interessante Schätze.
          All das finde ich in Tolkiens Zwergen.
          Was ich nicht finde, sind monotheistische Anhänger einer alten Stammes-Religion. 😉

    3. Hallo, ich gehe als Gast nur auf den ersten Kommentar von Eld ein, habe die Bücher ebenfalls nicht gelesen.

      Ich widerspreche Eld zum Thema Kontext und Auslegung. Kunst bewegt sich ständig referenziell, ob bewusst oder nicht. Besonders fantastische Literatur befindet sich mit wenigen Ausnahmen stets in der Spirale des Kopierens und der müden Redundanz. Streng genommen ist ein Roman aber sowieso niemals zu Ende interpretiert; Klassiker werden auch heute immer wieder neu gedeutet, das nennt sich Hermeneutik.

      Deshalb ist sowohl Bretts Rechtfertigung, er habe sich „unbewusst“ von den politischen Geschehnissen beeinflussen lassen, als auch der Post von Eld, dass alles einen polithistorischen Hintergrund hat, so schwachbrüstig. Alles hat Kontext und Hintergrund, nur wandelt der Kontext sich mit der Zeit, mit jedem Paradigmenwechsel.

      Beispiel: Welcher moderner Leser assoziiert Juden heute noch mit Zwergen? Gibt es dazu eine repräsentative Umfrage? Ich sage nicht, dass es eine Lüge ist. Ich vermute einfach, Eld ist an einem Nischenwissen überdurchschnittlich interessiert wie ein Tolkienfan, der fließend Elbisch spricht. No offense, ist ja auch ein Kompliment.

      Tolkien hat den Zwerg mit seinen Eigenschaften allerdings nicht erfunden, höchstens weiter ausgestattet. Ein durchschnittlich oder höher gebildeter Fantasy-Leser hat zu diesem Beispiel jedenfalls i.d.R. keine originäre polit. Beziehung. Denn, genau!, der Ur-Kontext fehlt.

      Was heißt das? Es heißt, Elds Beispiele sind so speziell, dass sie nicht teil unseres gesellschaftl. Kollektivwissens sind. Sondern Nischenwissen. Und da Tolkien trotz „Jude=Zwerg“ im Vergleich zu Peter Brett immer noch ein Mindestmaß an Subtilität walten ließ, kann man ihn nicht in den gleichen Plattitüden-Topf werfen.

      Die Kombination aus Minarett, Reglementierung, Religion und Verschleierung hingegen hat eine brennende überwiegend negativ konnotierte Aktualität, verschmolzen mit der Orientromantik aus überlieferten Märchen.

      Resultat: Brett bewegt sich nicht nur in einem aktuellen Kontext. Der Kontext ist auch noch politischer und hochemotionaler Gesprächsstoff (z.B. die Angst vor dem bombenlegenden, frauenunterdrückenden Einwanderer-Moslem). Ich kann Eld also nicht zustimmen.

      Orks=Böse=Nazis => Orks=Nazis
      Soll das wirklich ein valides Argument sein? Oder ist das ein Zitat von Tolkien? Ich bitte um Klärung.
      Ich habe jetzt nur 5 Minuten gegoogelt, aber laut meinen Ergebnissen orientierte Tolkien sich vor allem am 1. Weltkrieg. Die Kanonenfutter produzierende SS-Maschinerie usw. gab es zu der Zeit noch nicht, oder?, dafür aber die Natur niederwalzende Kriegsindustrie, derer er sich bediente, soweit ich bislang zu wissen glaubte.

      Übrigens: Wenn ich „Juden“ und „Zwerge“ google, kommt ein übersetzter Text auf spenglerblog.wordpress.com, der Autor ist ein David P. Goldman. Auf dem konservativen Portal PJmedia.com (zu den Unterstützern gehörte übrigens Andrew Breitbart und eine handvoll antiislamischer Bush jr.-Sympathisanten, laut der Wikipedia) schreibt er höchst amüsante Dinge zu Außenpolitik, „#fakenews“ und Trumps „unsung success“.

      Roman Ende.

  2. „gibt es irgendwelche Quellen bezüglich der Leser, die sich von den Büchern abwenden mit der Begründung, dass ihnen die stereotype Islam-Verarbeitung nicht gefällt?“

    Also ich kann dir zumindest bestätigen, dass ich persönlich keinerlei Lust verspüre, mit dem Lesen dieser Reihe anzufangen, nachdem Michael hier so anschaulich gemacht hat, wie platt die Weltenbau-Aspekte dieser Krasianer aus Nahost-Klischees zusammengezimmert sind.

    Ich danke jedenfalls für diesen gerechten Verriss. 😉

    1. Blöderweise ist der Rest der Welt sehr interessant gestaltet, umso mehr stechen die Krasianer hervor. Und die sind leider auch kein Detail am Rande der Geschichte, sondern der Kulturkonflikt ist ein zentrales Element. Ich habe die Bücher trotzdem gerne gelesen, denn die Geschichte ist eben spannend. Den letzten Band, so er denn irgendwann erscheint, werde ich auch noch lesen.

  3. Was ist denn eine „angemessene Darstellung der Vorbilder“? Ich muss zugeben ich kenne die Serie nicht, aber der Autor des Artikels gibt ja selbst zu, dass diese eher unschönen Aspekte des Islam durchaus real sind – ebenso real wie die aufgeführten positiveren Alternativen.
    Also wo ist die Verpflichtung zu einer positiven Darstellung (bzw. einer durchgehenden, denn so negativ scheint mir vieles des Genannten nicht zu sein)? Bloß weil sich sonst manche Leute auf den Schlips getreten fühlen?
    Vielleicht bin ich ja ein bisschen überempfindlich, weil ich es als Deutscher gewohnt bin, dass meine Kultur in billigen Klischees, schlechten Stereotypen und oft dem schlimmstmöglichen Licht abgebildet (bzw. für Fantasy-Äquivalente verwurstet) wird. Vielleicht stinkt es mir ein bisschen zu sehr nach politischer Korrektheit. Oder vielleicht stimmt alles und die gewählte Darstellung macht die Reihe tatsächlich schlechter. Weiß ich nicht.

    Aber ingesamt klingt das Ganze für mich ein bisschen nach „Der Autor ist fies, weil er die islamische/arabische Kultur hätte viel netter darstellen können.“. Hätte er bestimmt. Aber lag das an mangelnder Recherche? Vielleicht wollte er das aber gar nicht. Das mit den Dämonen aus der Erde klingt ein bisschen nach der gerade trendigen Allegorie mit dem gemeinsamen Problem das die gespaltene Menschheit zu vernichten droht (reine Spekulation). Wenn dem so ist, könnte man ihm sogar verharmlost werden wenn er sein Islam-Äquivalent als eine seiner Hochzeiten hinstellt. Denn man kann von dieser Religion halten was man will – aber in einem goldenen Zeitalter befindet sie sich im Moment absolut nicht. Mehr so Richtung Dreißigjähriger Krieg.

    Aber wie gesagt: vielleicht irre ich mich. Ich kenne die Bücher nicht, und irgendwie habe ich auch keinen besonderen „Appetit“ darauf. Aber eine teilweise negative Darstellung gleich auf Vorurteile oder schlechte Recherche zu schieben, scheint mir ein bisschen dünn zu sein.

    1. Eine angemessene Darstellung der Vorbilder ist mindestens dann der Fall, wenn man sich nicht ausschließlich bei einigen platten Klischees bedient. Das Motiv 1001 Nacht oder der dem Islam und dem arabischen Raum nachempfundene Kulturen gibt es in Fantasywelten zuhauf, aber deswegen darf man es sich trotzdem nicht so einfach machen, wenn die Immersion funktionieren soll. Brett hat eine interessante Welt geschaffen, viele Aspekte finde ich einfallsreich und spannend. Die Krasianer sind aber dermaßen holzschnittartig geraten, dass das Gesamtbild dadurch gestört wird.

      Politische Korrektheit ist mir dabei übrigens nicht wichtig, schließlich kann jeder Leser selbst entscheiden, wie er so eine Darstellung findet. Und natürlich ist es Bretts gutes Recht, seine Krasianer so zu formen, wie er will. Meinetwegen auch sehr gerne als kritische Auseinandersetzung mit dem Islam. Aber dann soll er nicht so tun, als wäre das alles keine Absicht und die Krasianer ein ach so innovativer Mix aus verschiedenen Quellen. Das sind sie nämlich nicht. Ich hoffe, dass das aus dieser Fallstudie einigermaßen ersichtlich wird, denn das war das Ziel.

  4. Ich kenne Autor und Werk nicht, aber von der Beschreibung her klingt es nach faulem Weltenbau bzw. etwas, das ich kaum noch als Weltenbau bezeichnen möchte. Da werden einfach irdische zugespitzte Gegebenheiten (bis hin zu Klischees) kopiert, um ein paar andere irdische Gegebenheiten ergänzt, Vokabeln ausgetauscht und fertig. Das sind doch damit keine natürlich gewachsenen Kulturen, sondern bestenfalls Analogien, wenn man es nicht einfach Abklatsch nennen möchte.
    Da habe ich lieber ehrlich gebaute Mittelalter-Fantasy.

    Ich finde es sehr schade, dass Kulturbau offenbar für viele Fantasyautoren nicht relevant ist. Lustig ist dabei, wenn sich so viele auf ihre großen Vorbilder von Tolkien bis LeGuin berufen, die genau das beherrschten.

    Man kann sich ja wunderbar von unserer Welt inspirieren lassen, muss man auch, wenn man für Leser nachvollziehbare Gegebenheiten erschaffen möchte. Aber Inspiration heißt eben nicht Abklatsch, sondern es ist eine Grundlage, eigenes zu erschaffen, das einen Wiedererkennungseffekt hat und dennoch eigenes beinhaltet.

    1. Es gibt viele Aspekte in der Welt von Brett, die ich gelungen finde. Auch die Krasianer haben Facetten, die ich faszinierend finde, aber diese Facetten haben ausschließlich mit Magie und Dämonen zu tun. Alles, was die Kultur der Krasianer ausmacht, besonders die Ordnung der Gesellschaft und das Alltagsleben, sind wirklich faul kopiert. Ich weiß nur nicht, ob „ehrlich gebaute Mittelalter-Fantasy“ da besser ist… 😉

  5. Vielleicht schreibe ich noch mal einen ausführlichen Kommentar aber: Die Welt in Peter V Bretts Bücher basiert offensichtlich auf unserer, oder einer uns ähnelnden Welt nach der Dämonenapokalypse. In einer Bibliothek findet Arlen nämlich Pläne zu Waffen aus unserer Zeit und auch Batterien und er trägt auch einmal Hosen aus Denim. Von daher sind die Ähnlichkeiten zum Islam einfach übernommen und nicht kopiert so wie J K Rowling auch nicht London kopiert hat.

    1. Ja, darauf scheint es hinauszulaufen. Brett selbst äußert sich aber anders und weist nicht darauf hin, dass es diese Verbindung gibt (s. verlinkte Interviews) – vielleicht nervt mich das am allermeisten. Vielleicht wissen wir mehr, wenn wir das letzte Bucht in Händen halten.

  6. Ich persönlich finde, dass dieser Artikel viel zu einseitig geschrieben ist.
    Selbstverständlich orientiert sich Krasia am Islam, aber es gibt auch viele Unterschiede.
    So zum Beispiel die in diesem Artikel mit keinem Wort erwähnten Dama’ting, die als Frauen einen weit höheren Status einnehmen als jeder Krieger in Krasia und dazu noch die einzigen sind, die Magie benutzen (können). Außerdem wird meiner Meinung nach das Motiv Saladins sehr wohl aufgegriffen, nämlich in Form von Jardir, der, ebenso wie Saladin, nicht nur ein genialer Stratege ist, sondern auch die Krasianische Gesellschaft komplett revolutioniert, angefangen mit dem Fakt, dass er Khaffit erlaubt, den Speer zu nehmen. Außerdem hat er durchaus Respekt vor anderen Kulturen, er schafft sogar die Sharum’ting, also weibliche Kriegerinnen, allein aus diesem Grund.
    Und zuletzt lässt Brett Abban immer wieder gewisse Absurditäten in der Krasianischen Religion und im Evejah aufzeigen.
    Insofern kann ich der Botschaft dieses Artikels absolut nicht zustimmen.
    Als letztes möchte ich noch all die, die kein einziges von den Büchern des Dämonenzyklus gelesen haben, bitten, das nächste Mal bitte nicht einfach solchen Artikeln zu vertrauen und allein deshlab zu sagen: „Diese Bücher werde ich jetzt nicht mehr lesen“, denn speziell dieser Artikel ist unvollständig und ließt sich, als wäre er ebenso schlecht recherchiert, wie es Peter V. Brett hier vorgeworfen wird.
    Um ehrlich zu sein, kann ich mir nicht vorstellen, dass der Autor mehr als das erste Buch der Reihe gelesen hat.

    1. Danke für deinen Kommentar! Weiter oben habe ich bereits kommentiert, dass ich die Bücher insgesamt gar nicht schlecht finde – der Grundkonflikt der Welt, das Magiesystem und auch die Charaktere finde ich spannend. Auch das nächste Buch werde ich lesen. Nur an der Kultur der Krasianer habe ich mich so sehr gerieben, dass ich den Artikel nötig fand.

      Zu deinem Vergleich von Jardir und Saladin: Außer strategischer Stärke im militärischen Bereich kann ich nicht viele Gemeinsamkeiten finden. Zum Einen war Saladin in seiner eigenen Gesellschaft kein Reformer, sondern führte die Gebiete, über die er herrschte, wieder in eine orthodoxere Auslegung des sunnitischen Islam zurück. Jardir aus den Büchern mag da sogar moderner handeln, auch wenn man seine Motive in Frage stellen darf – durch die bewaffneten Händler und Frauen gewinnt er schlicht mehr dringend benötigte Soldaten. Damit zieht er in einen heiligen Krieg gegen alle Andersgläubigen, und das hat Saladin ganz anders gehandhabt: In diesem Belangen war er extrem tolerant, Christen und Juden hat er sogar aktiv für die Ansiedlung in Jerusalem angeworben.

      Zur Rolle der Frauen in der krasianischen Gesellschaft: Bis auf einige wenige Dama’ting sind Frauen Eigentum ihrer Männer. Andersgläubige Frauen dürfen sogar völlig straflos vergewaltigt werden. Auch das ein Klassiker beim Portraitieren von offensichlich als rückständig angelegten Gesellschaften.

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