Mit wenigen Ausnahmen findet die Schöpfung einer Welt nicht zum Selbstzweck statt, sondern soll ein Setting für eine Erzählung ergeben. Und so wie eine Geschichte ausufern kann, kann das auch der zugehörigen Welt passieren. Wo sollte Schluss mit Weltenbau sein?
Dieser Beitrag ist Teil der „Reden über Weltenbau“ Reihe, die wöchentlich mit Felix von NonPlayableCharacters im Ping-Pong-Prinzip auf beiden Websites läuft. Eine Liste aller Artikel findet sich am Ende dieses Beitrags.
Fans lieben alle Details, die sie über eine Welt bekommen können. Deswegen setzt uns Hollywood jetzt jährlich einen neuen Star Wars Teil vor. Spätestens seit dem Marvel Cinematic Universe wissen die Studios, wie viel Geld in einer sorgsam aufgebauten Welt steckt. Doch das macht die darin präsentierten Geschichten nicht zwangsläufig besser, kritisiert Felix bei NonPlayableCharacters. Im Gegenteil: Wird die Welt mit immer mehr hinzukonstruierten Plots aufgebläht, würden die besten Geschichten – die „Hauptwerke“ – irgendwann darunter begraben.
Nun können die wenigsten Autoren mit millionenschweren Hollywoodverträgen auftrumpfen. Doch auch wer an seinem ersten Rollenspiel oder Roman mit eigener Welt arbeitet, kann im Weltenbau versumpfen, bevor die eigentlichen Geschichten oder Abenteuer rund sind. Muss man irgendwo eine Grenze ziehen?
Eine gut konstruierte Welt erfüllt eine wichtige Rolle
Systematischer Weltenbau hat für ein Setting einen konkreten Nutzen: Er sorgt für Originalität und innere Konsistenz. Wer interessante Charaktere aufs Geradewohl in eine Welt schickt, die erst parallel zur Geschichte zusammengestrickt wird, droht in die Klischeefalle tappen. Eine uninspirierte Welt langweilt, im schlimmsten Fall so sehr, dass sie der Geschichte die Dynamik nimmt. Das macht sie aus dieser Perspektive wichtiger als die Figuren, die sich in ihr bewegen: Eine Welt ist nicht an einzelne Charaktere und Plots gebunden, sie kann als Bühne für viele Geschichten dienen. Je schlechter der Weltenbau, desto weniger tragfähig ist diese Bühne.
Eine Welt kann faszinieren, aber erst Geschichten bewegen
Betrachtet man jedoch jeden Roman, jedes Abenteuer oder jeden Film einzeln, ersetzt eine gut konstruierte Welt niemals eine gute Geschichte. Eine Welt kann faszinieren, aber erst Geschichten bewegen uns. Eine gute Welt und eine gute Geschichte sind Elemente, die sich ergänzen. Das Mittelerde der Herr der Ringe Filme und der Hobbit Filme ist dieselbe Welt, und trotzdem fühlt sich die erste Trilogie besser an: Dort greift beides besser ineinander.
Über die geschaffene und die enthüllte Welt
Bleibt die Frage, wie viel Weltenbau eine Welt braucht, damit sie für eine oder mehrere Geschichten eine gute Bühne bietet. Handwerklich gut umgesetzter Weltenbau zeichnet sich dadurch aus, dass einzelne Elemente der Welt auf einen größeren Kontext hindeuten: Sie sollten das Gefühl vermitteln, dass sich die Welt auch abseits gezeigter Schauplätze erstreckt, dass das Leben auch nach dem Ende einer Geschichte weitergeht. Das fällt natürlich leichter, je mehr Material zur Verfügung steht, ist aber auf Dauer nicht ökonomisch. Weltenbau kostet viel Zeit.
Je prominenter ein Element, desto detailreicher und wiederspruchsfreier muss es gestaltet sein.
Ein Richtwert für den richtigen Aufwand können die Elemente der Welt sein, die im fertigen Roman (Spiel/Film) eine Rolle spielen. Je prominenter diese Rolle, desto detailreicher und wiederspruchsfreier müssen sie gestaltet sein. Diese Elemente sind der enthüllte Teil einer Welt: Der Leser (Spieler/Zuschauer) bekommt sie auch wirklich zur Gesicht. Alles, was ein Autor darüber hinaus an geschichtlichen, politischen, biologischen, geografischen oder astronomischen Zusammenhängen geschaffen hat, ist notwendig, damit sich diese Elemente nicht nur wie eine Pappkulisse anfühlen.
Vorsicht vor Weltenbau-Narzißmus
Wenn Welt und Geschichte stehen, sollte die weitere Enthüllung nie Selbstzweck sein: Eine Welt mit halbgaren Geschichten ist genauso schlecht wie eine Geschichte, die in einer halbgaren Welt angesiedelt wird. Nur weil der Name für ein weit entferntes Sternensystem existiert oder ein Punkt auf einer Weltkarte eingezeichnet ist, muss daraus nicht eine neue Geschichte konstruiert werden (für die dann auch noch neue Weltenbauarbeit anfällt, denn bisher existiert ja nur ein Name).
Viele haben schlicht keine Lust, sich einen Wust an Details anzueignen
Das Schwarze Auge ist damit bereits auf die Nase gefallen: Jahrelang waren Quellenbücher für jeden Landstrich der Welt Aventurien eine verlässliche Einkommensquelle für die Lizenzinhaber. Mit der Entwicklung von DSA 5 kam die Erkenntnis, dass diese Detailtiefe für Neueinsteiger schon länger eine Hürde darstellt: Viele haben schlicht keine Lust, sich diesen Wust an Details anzueignen.
Damit sind wir übrigens wieder bei der Kritik von Felix: Wenn keine guten Geschichten zu erzählen sind, braucht es auch nicht noch mehr drumherum. Und wenn ein Leser (Spieler/Zuschauer) erst ein Wiki studieren muss, um dem Plot folgen zu können, sind faszinierende Welt und bewegende Geschichte aus dem Gleichgewicht geraten.
Update (06.05.2016): Übersicht aller Artikel der „Reden über Weltenbau“ Reihe
Titelbild: „puzzle“, (CC BY 2.0) Olga Berrios/Flickr
Wirklich ein hilfreicher Artikel der darauf hindeutet, dass irgendwann auch mal Schluss sein sollte… Ich werde nur noch meine Tabellen beenden (die ich übrigens auf Grundlage des Fragenkatalogs gebaut habe: http://www.weltenbau-wissen.de/2015/09/weltenbau-fragenkatalog-kosmologie-metaphysik/ ^^) und dann gehts wieder weiter mit dem Hauptplot 😀
Das Beispiel mit DsA kann ich sehr gut nachvollziehen: wir hatten mal eine Runde gespielt, mussten aber vorher einen ganzen Samstag investieren…^^
Hat trotzdem Spaß gemacht :)=
Liebe Grüße,
Herr LÿÐmann
Freue mich sehr, dass dir der Fragenkatalog so gut weiterhilft! Der steht übrigens unter einer CC-Lizenz – wenn du magst, kannst du ihn den Lesern auf deinem Blog einfach zum Downlaod anbieten.