Für Christen ist Weihnachten eines der wichtigsten religiösen Feste, für alle Bewohner christlich geprägter Länder mindestens ein Grund, heimzukommen. Starke Bräuche wie Weihnachten prägen Kulturen und zeigen in kleinen Ausschnitten, was sie ausmacht. Damit sind sie auch für fiktive Kulturen und Zivilisationen wichtig und nützlich: Wie man sich seinen eigenen Brauch konstruiert und warum das gut für eine Welt ist.
Wer kam bloß auf die Idee, sich eine Tanne ins Wohnzimmer zu stellen? Weihnachtsbäume sind unpraktisch, verbrauchen Platz und stehen bestenfalls für einige Wochen, dann fliegen sie wieder raus – in Schweden hat man gleich ein eigenen Brauch daraus gemacht. Trotzdem gehört der Baum zu Weihnachten wie Jesus Christus und Geschenke. Solche Bräuche bringen Menschen zusammen, im Falle des Baums zehntausende Familien weltweit (oder er sorgt für Streit, aber das ist ja nicht das Ziel). Wie kommt es zu so einem Brauchtum und wie sieht das Rezept für einen gelungenen fiktiven Brauch aus?
Bräuche brauchen Werte und Gemeinschaft
Damit eine Handlung zu einem Brauch wird, muss sie drei Voraussetzungen erfüllen: Sie muss zu bestimmten Anlässen oder in einem festen Turnus stark ritualisiert wiederholt werden, sie muss gemeinschaftlich erfolgen und sie muss etwas zum Ausdruck bringen. Wenn eine einzelne Person etwa regelmäßig eine Kerze anzündet, ist das vielleicht ein Ritual, aber noch kein Brauchtum. Wenn viele Leute regelmäßig etwas tun, sich zum Beispiel alle vier Jahre in Stadien versammeln, um die Fußball-WM zu verfolgen, hat das vielleicht Tradition, es fehlt aber ein tieferer Sinn, der zum Ausdruck gebracht werden soll. Das ist bei den Olympischen Spielen anders: In der Antike hatten sie religiöse Bedeutung, die Spiele der Neuzeit sollen der Völkerverständigung dienen. Bräuche stiften Sinn und Identität.
Typische Anlässe für Bräuche sind einschneidende Ereignisse im Leben wie Geburt oder Tod, religiöse Feste oder Termine wie Sommersonnenwende und Jahreswechsel. Dabei kann ein Brauch natürlich auch mehrere Wurzeln haben. Wikipedia nutzt diese Klassifizierung:
- Typologisch (Feuerbräuche, Heischebräuche, Lärmbräuche)
- Regionale Bräuche
- Religiöses Brauchtum
- Bräuche im Jahreslauf (z. B. nach Jahreszeiten, nach Kirchenjahr, nach Bauernjahr, Jahreswende)
- Bräuche im Lebenslauf (z. B. Geburt, Initiation ins Erwachsenenleben, bei der Liebesanbahnung)
- Bräuche von Berufen und Ständen
Die durchgeführten Handlungen können alle möglichen Formen annehmen: Tänze und Gesänge sind häufig, besondere Kleidung und Schmuck sind beliebt, auch Prozessionen und das Anzünden von Dingen stehen hoch im Kurs. Es darf auch mal ein behängtes Nadelgehölz im Wohnraum sein.
Bräuche im Weltenbau und als Szenenidee
Bräuche eignen sich hervorragend, um hervorzuheben, was für eine Kultur wichtig ist: Nomadische Stämme könnten Tierzügen folgen und deren Beginn und Ende mit Festen begehen, eine Agrarkultur wird hingegen mehr Wert auf Anlässe wie Saat und Ernte legen. Eine militarisierte Kultur könnte das Erreichen von Rängen, das Feiern von Siegen und das Gedenken Gefallener mit festen Bräuchen begleiten.
Werte und Ausdrucksformen einer Kultur vermitteln Bräuche in sehr kompakter Form – perfekt, um sie im Weltenbau einzusetzen und sie einem Leser/Spieler/Zuschauer in unterhaltsamer und glaubwürdiger Weise näherzubringen. Außerdem sind Bräuche an sich ein Merkmal von Kultur: Eine Welt, die Bräuche kennt, fühlt sich echter und glaubwürdiger an. Und keine Angst vor zu abgedrehten Ideen: Mit vielen Bräuchen aus der Realität lässt sich ohnehin schwer mithalten. „Show, don’t tell!“ gilt hier für Szenen in allen Medien. Besonders Pen-&-Paper-Rollenspiele können hiervon profitieren: Wie reagieren die Spieler auf einen ungewöhnlichen oder fremdartigen Brauch?
Wer auf den Gedanken mit dem Weihnachtsbaum kam, lässt sich übrigens nicht mehr einwandfrei nachverfolgen. Er ist auf jeden Fall mit anderen Traditionen wie dem Maibaum verwandt und könnte ein Symbol von Fruchtbarkeit und der Hoffnung auf die Wiederkehr des Frühlings sein. Immergrüne Zweige wurden schon in der Antike ins Haus geholt, um Wintergeister abzuwehren. Irgendwann in der frühen Neuzeit wurden daraus in Zunfthäusern und den Stuben der Gutbetuchten ganze Bäume. Wann genau daraus ein Trend für die Massen wurde, ist nicht mehr nachvollziehbar. Klar ist nur, dass die merkwürdige Idee im 19. Jahrhundert ein deutscher Exportschlager war. In diesem Sinne: frohe Weihnachten!
Titelbild: „1384“ (CC BY 2.0) Sergey Norin/Flickr