Weltenbau ist schon für eine Person unübersichtlich. Was, wenn ein ganzes Team eine Welt aus der Taufe heben soll? In Spielentwicklungsprojekten ist das völlig normal, egal ob für ein Computer- oder Pen-&-Paper-Spiel. Hier ist neben Fantasie und Originalität plötzlich auch sauberes Projektmanagement gefragt, das Autoren, Designer und Concept Artists zusammenbringt. Die Autorin und Grafikerin Herr LyDmann hat ihren Master in Game Design absolviert und musste dort im Team eine spannende Welt innnerhalb von nur zwei Wochen aus dem Boden stampfen. In ihrem Gastbeitrag erklärt sie, worüber sie gestolpert ist und gibt Tipps für einen reibungslosen Ablauf.
Weltenbau ist natürlich in der Gamesbranche ein großes Thema. Denn für ein gutes Spiel benötigt man auch eine virtuelle Welt, also „(…) eine künstlich erzeugte, aus sich selbst heraus funktionierende Totalität, die ganz offenkundig nicht die uns umgebende ist, dennoch aber wie eine real existierende wirkt und/oder funktioniert“. Diese Definition stammt aus einem Vortrag des Dozenten Wolfgang Walk.
Virtualität braucht äußere (in der sie physikalisch existiert) und innere Realität.
Auf die Gamesbranche gemünzt bedeutet äußere Virtualität, dass wir Teilhaber, Hardware, Software, eine Game-, Grafik- und Sound- Engine, AI etc. benötigen, sowie konsistente Weltvermittlung durch Grafik, Sound und Interaktion. Zu innerer Virtualität gehören nach Walk drei Säulen: kulturelle und soziale Referenzen, sowie Bewohner. Das alles muss nun bedacht werden, wenn wir eine Welt für ein Spiel erstellen wollen.
Das Projekt
Im vierten Semester Gamedesign sollten für das Modul „theoretische Aspekte virtueller Welten“ innerhalb von zwei Wochen die Grundzüge von Mythologien, Historien, Gesetzesstrukturen, Alltagsszenen und Artefakte zweier Völker erschaffen werden, wobei jedem Themengebiet ein anderer Bearbeiter zufiel. Im Endeffekt sollten die Themenbereiche dann zusammengeführt werden und ein stimmiges Gesamtkonzept ergeben.
Die Welt, die hierbei entstand, wurde von den „Kunetami und Sayji“ bevölkert und war ein detailreicher Minikosmos mit von der japanischen und der Maya Kultur inspirierten Elementen. Während der Bearbeitung sind zudem zwei Unterkulturen entstanden, die das Gesamtbild abrundeten (das komplette Konzept ist auf meiner Website einsehbar).
Natürlich kamen wir auf die Ideen in den einzelnen Bereichen nicht sofort und natürlich hatten wir bis zum Endergebnis einige Hürden zu überwinden.
Fünf Probleme
1. Zu viele Köche und der Grundfond einer Suppe
Nachdem wir die Aufgabe bekommen hatten, setzten wir uns alle erst einmal hin und veranstalteten ein ausgedehntes Brainstorming mit über 20 Personen. Wo wollten wir eigentlich hin? Sollte es mehr in die Science Fiction Richtung gehen? Im Weltall spielen? Unterwasser? In den Bergen? In der Luft? Bei Omi? Was der eine cool fand, fand der andere total ausgelutscht. Und ja: Zombies sind wirklich ausgelutscht. Auch Ninja Zombies!
2. Stundenlange Diskussionen
Man kann sich also denken: wir stritten stundenlang über die grundlegende Basis der Welt, verplemperten Zeit und Nerven (zwei Wochen sind nicht viel) bis wir uns endlich, endlich auf Mayas und die japanische Kultur geeinigt hatten. Anschließend gingen die Diskussionen in den kleineren aufgeteilten Gruppen weiter, waren bei weitem aber nicht mehr so zeitintensiv.
3. Keine Absprachen und Updates
Die Gruppen arbeiten zu ihren Themen Informationen aus, recherchierten, skizzierten und schrieben, was das Zeug hielt. Leider fehlte es anschließend an Absprachen oder Updates (wir hatten ja schon Zeit verloren), so dass der eine weiter an einer futuristischen Maya-Axt mit fluorisierenden Energielinien zeichnete, der Geschichts-Mensch sich aber dachte: „Science-Fiction ist blöde, viel zu aufwendig, die ganze Sache spielt mehr im Zeitalter des Mittelalters.“
4. Keine Routine in den Meetings
Diese Fehler hatten wir bemerkt und führten regelmäßige Meetings ein. In den Meetings selbst fehlte es jedoch an Struktur, so dass es erneut ein Durcheinander und natürlich diese unsäglichen Diskussionen gab.
5. Das eigene Süppchen und die Liebe zum Detail
Als die Zeit der Abgabe näher rückte, gerieten einige unter Druck, setzten sich mit voller Hingabe nächtelang vor den Rechner und tobten sich in ihrem Themenbereich komplett aus. Dabei ersannen sie ihr Themengebiet bis ins Unendliche aus und verlangten von anderen Gruppen, dass sie doch bitte diesen und diesen und diesen Gott in der Geschichte unbedingt erwähnen müssten weil sonst seine… Axt keinen Sinn mehr ergibt.
Fünf Lösungen
Was hat uns also tatsächlich geholfen diese Hürden zu überwinden um doch noch eine vernünftige und konsistente Welt zu erschaffen?
1. Der heilige Project Owner
Geholfen hat es, einen oder zwei Projektleiter/ Project Owner zu ernennen, die grundlegende Entscheidungen treffen (wie die Zeitspanne oder die allgemeine Anmutung). Basisdemokratie sollte immer das Ziel sein, weil sich mehr Teammitglieder mit der Idee potentiell identifizieren können, klappt aber bei den meisten Projekten nicht, weil die Zeit fehlt.
2. Mal ein Nein akzeptieren und kritikfähig sein
Jeder kennt sie, die verrückten Dudleys die grundlos, sinnlos und leicht geisteskrank auf ihre (und nur ihre!) Idee bestehen. Daher hier ein dringender Appell an die eigene Fähigkeit, eine Idee zu Gunsten der allgemeinen Konsistenz einer Welt auch einmal verwerfen zu können; auch wenn Weltall-Ninja-Zombies mit Macheten und magischen Sprengbomben echt toll sind.
3. Mitdenken
Wenn nicht miteinander gesprochen wird oder bestimmte Änderungen nicht mitgeteilt werden, werden sie verloren gehen bzw. alles in Inkonsistenz stürzen. Daher ist es essentiell mitzudenken, sich als Teil eines erschaffenen Netzwerkes zu betrachten und einfach mitzudenken. D. h. man sollte sich oft die Frage im Bearbeitungsprozess stellen, ob diese Information jetzt für jemand anderen aus den Teams relevant sein könnte. Ist es wichtig, dass der Concept Artist weiß, dass meine Mayas eine besondere Beziehung zu Edelsteinen und Metall haben? Ja ist es.
4. Feste Meetings mit Moderator
Diese bewähren sich um allgemeine Änderungen und Arbeitsstände zu präsentieren. Ganz wichtig dabei: kein Geschwafel. Vorbereitung ist alles. Zeiten pro Gruppe und Thema festzulegen hat sich hierbei bewährt, denn niemanden interessiert welche Ideen alle verworfen wurden oder wer schuld daran ist, dass das Bild jetzt noch einmal gezeichnet werden muss. Ein Moderator kann hier bei besonders diskussionsfreudigen Menschen helfen, diese zu bremsen und wieder auf den Boden der Tatsachen zu bringen.
5. Ordnersystem und Dateimanagement
Strukturiertes Dateimanagement mit regelmäßigen Updates und einem verständlichen Ordnersystem erleichtert das Arbeiten und spart am Ende Zeit, da man die neuesten Dateien im Wust von Daten mit Dateinamen wie unbenannt.doc, final.doc, finalfinal.doc, finalfinal2.doc nicht suchen muss.
Und zum Schluss der ultimativste und wichtigste Tipp für alles:
Zeitpläne erarbeiten und durchziehen!
Früh ein Projekt anzufangen und sich an Zeitpläne zu halten verhindert Arbeit unter Druck am Ende eines jeden Projekts. Wirklich.
Produktive Teamarbeit hat den einen entscheidenden Vorteil, dass mehrere Hände hochwertige Inhalte in relativ kurzer Zeit erschaffen können. Und ist dabei ist er meist sogar noch viel interessanter als eine Welt, die nur aus einem einzigen Gehirn entsprungen ist.
Herr LyDmann schreibt aktuell an der Umsetzung des Praxisteils ihrer Masterarbeit „Liebe in digitalen Spielen“ in Form des Romanprojekts „Liebe in allen Facetten“. Auf ihrem Blog gibt sie dazu wöchentlich Updates.
Mehr lesen:
Das theoretische Fundament zum Weltenbau im Game Design stammt ausdem Vortrag Theoretische Aspekte virtueller Welten von Wolfgang Walk an der Mediadesign Hochschule Berlin von 2010. Wer mehr über das Schreiben für digitale Spiele erfahren will, wird in auf seinem Blog Der Blindband fündig.
Titelbild: Legos In The Bag (CC BY 2.0) Sonny Abesamis/Flickr
Wow, das ist ja total interessant! Hätte niemals gedacht, dass es so kompliziert ist, aber klar, wenn 20 Leute daran arbeiten, ist Kommunikation und Organisation natürlich das A und O.