„Roboter, Golems & Kunstwesen“ ist das Motto des „Karneval der Rollenspielblogs“ in diesem Monat (organisiert von Clawdeen). Weltenbau Wissen steigt gerne mit ein und dekonstruiert eines der beliebtesten Fantasy-Konstrukte: den Golem. Ein klassischer Fall von Legendenwissen, das in die fantastische Popkultur übernommen wurde. Doch seine Entstehungsgeschichte birgt viel mehr Potenzial für Dungeon- und Weltenschöpfer als die Paraderolle des willenlosen Magierlakaien…
Golems haben ein Image als stoische Wächter und nimmermüde Arbeiter. Doch gegenüber cleveren Cyberpunk-Konstrukten oder „echten“ Robotern schwingt immer eine mystische, düstere Komponente mit: Beim Golem ist lebloses Material durch geheimes oder gar verbotenes Wissen beseelt worden, nicht durch Mechanik. Diese Facette ist Teil unseres kulturellen Gedächtnisses geworden: Der Golem ist ein Konzept, das einen langen Weg von Mystikern in Mitteleuropa über traditionalistische jüdische Bewegungen im 18. und 19. Jahrhundert, einen Exkurs durch die Romantik und die Literatur des beginnenden 20. Jahrhunderts hinter sich hat.
Das Geheimnis der Erweckung sollte mit der Kabbala zu tun haben
Die Kernidee lautet, dass man eine menschliche Form aus einem Material wie Lehm schaffen und durch bestimmte Rituale zum Leben erwecken könnte – ganz so, wie die Schöpfung Adams im Talmud aus einem Brocken unförmigen Materials beschrieben wird. Das Geheimnis dieser Erweckung sollte mit den mystischen jüdischen Traditionen der Kabbala zu tun haben: Es ist belegt, dass jüdische und christliche Gelehrte mindestens seit dem 12. Jahrhundert in deren Schriften danach gesucht haben.
Mit Worten zum Leben erweckt
Je nach Quelle wird dem Golem Leben durch eine hebräische Inschrift auf dem Kopf verliehen oder indem man ihm bei einem Ritual einen der Namen Gottes aus der jüdischen Mystik in den Mund legt – auf einem Papier oder einem Plättchen. Das funktioniert auch umgekehrt: Verändert oder entfernt man die Inschrift oder das Plättchen, zerfällt der Golem. Die meisten Geschichten wurden nach und nach in Prag angesiedelt, unter anderem weil sich im Mittelalter dort eine der größten jüdischen Gemeinden Europas fand. Das geschah übrigens meist rückwirkend: Besonders in Deutschland entstanden Mitte des 19. Jahrhunderts einige Romane und Erzählungen, die in eben jenem Prag angesiedelt sind. Selbst die Brüder Grimm haben eine Fassung aufgeschrieben.
In einigen Sagen kann sich der Golem sogar unsichtbar machen
Wie die Schöpfung am Ende aussieht und was sie kann, variiert von Legende zu Legende. Am populärsten ist die Rolle des Beschützers einer jüdischen Gemeinde. Dabei kann er ein fast völlig menschliches Erscheinungsbild haben oder weiter als Lehmgeschöpf durch die Straßen stapfen. In den Sagen rund um den Prager Rabbi Löw kann sich der Golem sogar unsichtbar machen und die Geister der Toten beschwören. Eines kann er jedoch nie: sprechen. Einen eigenen Willen hat er in den meisten Erzählungen ebenfalls nicht, stattdessen führt er Anweisungen direkt, sofort und wörtlich aus. Dabei ist es nicht ungewöhnlich, dass er außer Kontrolle gerät und seinen Schutzbefohlenen oder seinem Schöpfer Schaden zufügt. Schon vor Frankenstein oder dem Zauberlehrling war der Golem damit ein beliebtes Symbol für menschliche Hybris.
Von der Legende zum Fantasy-Geschöpf
Einige Legenden um den Golem entwickelten sich beständig weiter: So soll im zweiten Weltkrieg ein Nazi-Agent damit beauftragt worden sein, die Überreste von Rabbi Löws Golem zu zerstören. Von seiner Mission sei er nie zurückgekehrt. Der Golem als Geschöpf hat damit eine sehr lange und vielschichtige Geschichte hinter sich. Mit Dungeons & Dragons schaffte der Golem in den Siebzigern den Sprung in die Fantasy, so wie viele andere europäische Legenden- und Sagengestalten. Der Golem aus Lehm, der Versuch, den Schöpfungsakt Adams nachzuahmen, geht dabei aber langsam unter: „Golem“ steht inzwischen für eine vielzahl an magisch zum Leben erweckten Gestalten. Es gibt Steingolems, Eisengolems, Fleischgolems und noch viele, viele weitere Varianten.
Der Golem ist eine exzellente Plattform, um eine geheimnisvolle Begegnung zu schaffen
Wer ihn als Figur, Gegner oder Konzept verarbeiten möchte, verschenkt viel Potenzial, wenn der Golem nur zum einfachen Konstrukt eines Magiers banalisiert wird. Die mystische Entstehungsgeschichte wird bewusst oder unbewusst vielen Lesern oder Spielern bekannt sein und bietet eine exzellente Plattform, um eine ungewöhnliche, tragische oder geheimnisvolle Begegnung zu schaffen. Spannende Plotideen ergeben sich schon aus dem Wissen um die Erschaffung eines Golems: Ist es verlorengegangen, jagen alle diesem Wissen nach? Hat ein Magier es vor kurzem entschlüsselt? Als Massenware bleibt der Golem eine Fantasy-Kreatur unter vielen, erst als einzigartiges Relikt einer vergangenen Zeit kann er seine Stärken voll ausspielen.
Der „Karneval der Rollenspielblogs“ ist ein offenes Projekt verschiedener Rollenspielblogs und -webseiten, das monatlich Beiträge zu einem fest definierten Thema sammelt. Alle Beiträge und Themen finden sich im Forum von rsp-blogs.de.
Titelbild: gemeinfrei; Bearbeitung durch Weltenbau Wissen
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