Eine Karte ist selten der beste Anfang für ein Weltenbauprojekt, aber irgendwann muss eben doch eine her. Wie kommen die Ideen für eine Welt dann aufs Papier? Jonathan Roberts ist dafür Experte: Der Illustrator und Kartograph zeichnete unter anderem „The Lands of Ice and Fire“, die offizielle Kartensammlung für die „Das Lied von Eis und Feuer“ Romane beziehungsweise die „Game of Thrones“ TV-Serie.
Weltenbau Wissen erlaubte er die Übersetzung seines ausführlichen Basistutorials über Kartenlayout, das hier folgt. Es wurde vor allem für Autoren verfasst, sollte aber für jeden nützlich sein, der seine Weltenbauideen in eine Karte übersetzen möchte.
Stellen wir eines gleich klar: Eine Karte muss nicht schön sein.
Ich weiß, Sie denken: „Aber diese Poster von Mittelerde sind wunderschön“. Natürlich sollte eine fertige Karte ansehnlich sein, doch für Weltenbauzwecke ist eine hübsche Karte eine ganz schlechte Sache. Schöne Dinge sind wertvoll. Wir wollen schöne Dinge möglichst unberührt lassen. Im Weltenbauprozess müssen wir aber auch etwas kaputt machen können, und das oft.
Also werfen wir die Idee einer hübschen Karte gleich über Bord. Stattdessen werden wir uns auf eine zweckdienliche Karte konzentrieren, genaugenommen mehrere Karten, eine nach der anderen. Notizen sind nicht das fertige Manuskript und eine Karte ist keine fertige Welt. Sie ist ein visuelles Notizbuch, daher sollten Sie Dinge streichen, Bereiche entfernen und immer wieder von vorn anfangen können.
Heute brauchen wir nicht Photoshop, sondern Block und Bleistift. Auf geht’s!
Vorbereitungen
Zunächst müssen Sie über die „Welt“ nachdenken, die Sie bauen wollen. In vielen Fällen ist das ein eingegrenztes Areal, das viel kleiner ist als der Planet, auf dem Sie sich in diesem Moment befinden. Nur wenige Geschichten entspinnen sich über einen ganzen Globus. Also fangen wir damit an, uns auf den Bereich zu konzentrieren, in dem die Geschichte stattfindet. Damit wird sichergestellt, dass die Arbeit in einem vernünftigen Rahmen bleibt und es immer noch ferne, mystische Länder gibt, die man später erkunden kann.
Ihre Erzählung wird Länder, Stadtstaaten oder eine andere Form von Macht- oder Staatsgebilden haben. Beginnen Sie damit, deren Beziehungen zueinander zu notieren. Befinden sie sich im Kriegszustand? Streiten sie sich über Ressourcen oder sind sie verbündet? Haben sie vielleicht gar keine Berührungspunkte? Denken Sie darüber nach, was sie besonders macht. Sind sie berühmt für ihre weiten Kornfelder? Ihr Eisen? Ihre Marine?
Länder und ihre Eigenareten werden über ihre Geografie genauso definiert wie wir die Geografie der Welt über die Länder in ihr definieren. Ein Nation mit großer Marine braucht Zugang zur See, sollte aber auch über andere schützende Barrieren wie Gebirgsketten verfügen. Andernfalls wäre die Konzentration auf die Marine im Verhältnis zu anderen militärischen Einheiten schwer zu erklären. Kriegsparteien sollten nahe beieinander liegen und Möglichkeiten haben, sich gegenseitig anzugreifen.
Konzentrieren Sie sich bei dieser Auflistung von Besonderheiten auf die wichtigsten Geländeformen: Küsten und Gebirge. Notieren Sie sich nebenbei andere Merkmale, die Ihnen zu ihren Ländern einfallen – die Tulpenfelder von Alak’tor, die Salzminen von Keshel – das wird später nützlich.
Schritt 1: Länder zueinander positionieren
Jetzt können wir mit der Karte anfangen. Zeichnen Sie schemenhaft Kreise, wo Ihre Länder liegen sollen. Wer verbündet ist oder sich im Krieg befindet, sollte nah beieinander liegen. Die Länder, die kaum miteinander Kontakt haben, sollten entweder weit auseinander liegen oder von schwer überwindlichen Barrieren getrennt sein. Es klingt leicht, ein paar Kreise auf eine Karte zu malen, aber dieser Schritt kann einige Anläufe brauchen, bis die Beziehungen untereinander stimmen.
Schritt 2: Küstenverläufe hinzufügen
Kreise sind aber noch keine Karte, dafür müssen wir Küstenlinien hinzufügen. Entscheiden Sie, welche Staaten lange Küsten benötigen und welche keinen Zugang zum Meer haben. Dann lassen Sie ihren Stift einfach laufen: Vermeiden Sie gerade Linien, denn Küsten sind zerklüftet. Wenn Ihr Küstenverlauf nicht wie die Spur einer betrunkenen Ameise aussieht, haben Sie etwas falschgemacht.
Schritt 3: Gebirgszüge
Jetzt wird es Zeit für Berge. Gebirge formen Ketten und Kämme, wiederstehen Sie daher der Versuchung, ganze Blöcke zu setzen und orientieren Sie sich an kurvigen Linien. Oft folgen Gebirge Küstenlinien, die Anden sind ein gutes Beispiel. Aus der Plotperspektive gesehen sind Gebirge Hindernisse für Ihre Helden, sie bilden Barrieren zwischen Ländern oder der bekannten Welt und unerforschtem Territorium. Berge beeinflussen außerdem das Klima: Wenn Sie etwa eine Wüste in einem Bereich und einen Dschungel im anderen brauchen, sollten Sie eine Gebirgskette dazwischen platzieren, um Wolken über dem Dschungel abregnen und nicht in die Wüste ziehen zu lassen.
Schritt 4: Flussläufe
Der nächste Schritt sind Flüsse: Regen fällt in bergigen Gegenden und fließt in Form von Flüssen zurück ins Meer. Dabei fließt Wasser immer zum tiefsten Punkt. Flüsse spalten sich deshalb nicht auf, sondern fließen ineinander. Es gibt keine Flüsse, die zwei Küsten miteinander verbinden, denn sonst müsste das Wasser irgendwann stromaufwärts fließen. Seen können auch nicht zwei Abflüsse Richtung Meer haben: Es gibt nur einen tiefsten Punkt hinaus. Stellen Sie sich Flüsse einfach wie einen liegenden Baum vor: Am Stamm fließt der Fluss ins Meer, aber ein Geflecht aus Ästen und Zweigen reicht in die Berge.
Flüsse haben außerdem eine strategische Bedeutung: Es gibt fast keine Flussmündung auf der Welt, an der keine Stadt liegt und die meisten Metropolen liegen ebenfalls an Flüssen. Zudem sind Flüsse gute Verteidigungslinien: Es ist schwierig, eine Mauer entlang einer ganzen Landesgrenze zu bauen. Aber über einen gut verteidigten Fluss überzusetzen ist für eine Armee fast genauso schwer, wie eine Mauer zu überwinden.
Schritt 5: Terrain verfeinern
Fügen Sie einige Hügel am Rand Ihrer Gebirgszüge hinzu, verteilen Sie Wälder und schauen Sie dann, wie das ganze aussieht. Seien Sie bloß nicht zu vorsichtig. Wenn Ihnen das Ergebnis nicht gefällt, fangen Sie einfach ein neues Blatt an. Zeichnen Sie vielleicht eine andere Küstenlinie. Drehen Sie die Karte einfach mal auf den Kopf.
Wenn Sie mit dem Terrain zufrieden sind, zeichnen Sie die Bleistiftlinien mit einem anderen Stift nach und radieren Sie alle Bleistiftlinien aus, auch die Grenzen Ihrer Länder. Scannen Sie die Karte ein, lassen Sie sie in Ruhe und machen Sie sich was zu essen.
Schritt 6: Bevölkerungszentren und Grenzen
Wenn Sie an den Schreibtisch zurückkehren, probieren Sie folgendes aus: Ignorieren Sie Ihre ehemaligen Länder. Schauen Sie sich die Karte mit neuen Augen an und überlegen Sie, wo Sie eine Stadt gründen würden. Was wären strategische Schlüsselpositionen? Wer möchte, kann so tun als würde er „Civilisation“ spielen: Wo sind Ressourcen, die Sie verteidigen müssten, welche Regionen würden Sie annektieren? Probieren Sie mit bunten Stiften verschiedene Grenzverläufe aus. Zur Not ändern Sie Flussläufe und verschieben das Gelände. Sie haben die Karte schließlich eingescannt, Sie können Sie immer wieder ausdrucken. Experimentieren Sie. Wenn Sie mit einem Layout zufrieden sind, geht es mit Städten weiter.
Für die Lage von Städten gibt es gute Gründe, sie tauchen nicht einfach so mitten im Nichts auf. Bevölkerungszentren brauchen Nahrung, Wasser, Handelsrouten und Sicherheit. Flüsse können für das alles sorgen, weshalb Stadtgründungen an Flussmündungen so häufig sind. Platzieren Sie Ihre Hauptstädte an Orten, die sich gut verteidigen lassen und die über Transportwege an andere Regionen des Landes angebunden sind. Kleinere Städte sollten Sie an anderen wichtigen Punkten platzieren: im Zentrum einer Bergbauregion, am Ende eines langen Gebirgszugs, an strategisch wertvollen Flussüberquerungen oder als Marktplatz mitten in endlosen Viehweiden. Jetzt ist auch der richtige Zeitpunkt, um wichtige Befestigungsanlagen einzuzeichnen.
Ab hier fällt es leicht, Straßen einzuzeichnen. Straßen verbinden die wichtigsten Städte, führen in Regionen mit viel Landwirtschaft und knüpfen an andere wichtige Handelsrouten an.
Überarbeiten, überarbeiten, überarbeiten
Damit haben Sie eine funktionierende Karte! Aber vergessen Sie nicht: Nichts ist in Stein gemeißelt. Jedes Mal, wenn Sie diesen Prozess wiederholen, wird das Ergebnis besser. Bei jedem Entwurf werden Ihnen neue Ideen kommen. Während Sie weiter über Ihre Welt schreiben, werden Sie neue Geistesblitze haben und immer besser wissen, welche Merkmale Ihre Geografie aufweisen muss, welche Beziehungen Länder zueinander haben, wo eine unerforschte Wildnis liegen sollte. Überarbeiten Sie Ihre Karte – dafür ist sie da. Während Sie ein besserer Kartenzeichner werden und und der Text weiter wächst, verbessert sich auch die Verbindung zwischen Karte und Geschichte.
Sobald Ihr Manuskript das Entwurfsstadium verlässt, ist auch für Ihre Karte der Zeitpunkt gekommen, ordentlich illustriert zu werden.
Jonathan Roberts hat auf seiner Webseite Fantastic Maps viele weitere Tutorials für angehende Kartographen zu Techniken, Stilen und Layoutfragen. Auf Twitter kann man ihm unter @Fantasticmaps folgen.
Titelbild und alle Skizzen: Jonathan Roberts (mit freundlicher Genehmigung).
Der Artikel ist wirklich enorm hilfreich. Vielen Dank für die tolle Arbeit. Ich habe genau den Fehler gemacht und wild eine Karte gezeichnet: http://www.herrlydmann.com/2015/05/20/zweiter-weltentwurf/
Jetzt wo sich die Geschichten in meinem Roman verdichten und meine Hauptfiguren sich auf der Welt bewegen, merke ich, dass es so nicht funktioniert. Ich werde noch einmal neu anfangen müssen und mich dabei an dieses Tutorial halten.
Vielen Dank und liebe Grüße
Herr LÿÐmann
Schön, dass es dir weitergeholfen hat! Es nützt auf jeden Fall, sich vorher einige Gedanken zum Beziehungsgeflecht zu machen. Dass man später eine Karte oft überarbeitet, ist ganz normal.
Was ist der Unterschied zwischen hübsch und schön? Schön kann sie und hübsch sollte sie nicht?
Seltsame Wortklauberei.
Die Beispielkarte finde ich hübsch und schön. Ist sie nun gut oder schlecht?
Gemeint ist, dass nicht jeder Entwurf gleich optisch ansprechend sein muss, denn er wird mit hoher Wahrscheinlichkeit verworfen. Am Ende kann eine Karte hübsch oder schön sein. Die Verwirrung resultiert wohl aus meiner Übersetzung. Vielen Dank für den Hinweis, da kann ich nochmal ran.
Die Übersetzung habe ich noch einmal angefasst und besonders den Einstieg geglättet. Sollte jetzt verständlicher sein.
Ich lese mich hier gerade herein, weil mir die Idee kam eine Welt aufzubauen, als ich ein Internet-Tool zum Erstellen von fiktiven Karten entdeckt habe.
Da ich jetzt schon eine Karte dank diesem Tool habe (die ich auch schon mehrmals geupdated habe, da mir schon beim Erschaffen einer Religion aufgefallen ist, dass ich viel zu wenig Burgen und Städte auf meinem Kontinent habe und auch der ein oder andere Tempel nicht schaden könnte), werde ich wohl diese Welt grundlegend darauf aufbauen.
Mal gucken wie lange ich brauche um einzusehen, dass es wahrscheinlich eine blöde Idee war mit der Karte zu beginnen 😉
Hei Sven,
falls es für dich ne blöde Idee war, wirst du´s tatsächlich merken (man merkt, wenn son Projekt länger läuft, so einiges … 😉 ).
Des Kartentool würd mich persönlich interessieren,
kannst du da vll. nen Link erstellen, oder so?
http://inkarnate.com/
Da kann man sich schöne Karten erstellen. Ist gerade in der Beta-Phase, d.h. weiß ich nicht ob es später noch kosten wird oder nicht.
Super 🙂 . Dankeschön.
Wie würde ich das denn mit einer galaktischen Karte mache?
(Ich habe ein ganze Galaxie, die will ich mir nicht einfach merken,
gäbe zwar einen schönen Mindpalace ab, ist aber ein bisschen groß)
Ich kann zwar „Koordinaten“ jeder Welt auf die Steckbriefe schreiben, das ist aber auf die Dauer doch etwas unbedfriedigend.
Eine galaktische Karte hat natürlich einen ganz anderen Umfang als eine Land- oder Weltkarte, die sich auf der Oberfläche einer Welt abspielt. Bei Johnathans System geht es darum, die Beziehungen von Ländern zueinander und zu den wichtigsten geografischen Barrieren zu klären, bevor man eine detaillierte Karte anlegt. Damit kann man sicherstellen, dass die Karte zu den Ländern und ihren Eigenschaften passt, die man sich vorstellt. Das erspart viele Überarbeitungen wegen Ungereimtheiten, die sich vielleicht erst später ergeben.
Bei einer galaktischen Karte sieht das Beziehungsgeflecht aber anders aus, denn die Distanzen zwischen bewohnten Systemen oder Welten werden so groß, dass du absolute Nähe und natürliche Barrieren weitgehend vernachlässigen kannst (das gilt unter Umständen nicht mehr, wenn du dich in kleineren Einheiten wie einem Sonnensystem bewegst).
Stattdessen ist interessant, welche fixen Punkte in der Galaxie Einfluss auf das Beziehungsgeflecht von Kolonien oder Sternenreichen (oder was auch immer dir vorschwebt) nehmen. Dazu musst du auf jeden Fall wissen, wie man die Galaxie eigentlich bereist, also wie Schiffsantriebe, Wurmlöcher oder Sternentore funktionieren sollen, und wie diese Systeme an bewohnte Welten angeschlossen sind. Alles, was für diese Reisen wichtig ist, können solche Punkte sein. Kontrolle von bestimmten Koordinaten wird dann ein wichtiges Thema für Handelsbeziehungen, Expansionspotenzial und Konflikte.
Dann musst du für eine Karte außerdem festlegen, was für eine Form deine Galaxie haben soll. Denn während man sich Landmassen und Kontinente so zurechtkneten kann, wie man möchte, gibt es nur eine Handvoll Galaxietypen, die sich immer wieder herausbilden. Die Milchstraße ist zum Beispiel eine Spiralgalaxie.
Bei Ausschnitten aus der Galaxie ist dann zu bedenken, dass du dich im dreidimensionalen Raum bewegst und nicht alle Sterne, Systeme und Planeten auf einer Ebene liegen. Eine Draufsicht visualisiert also längst nicht alles. Dieses Problem wird oft durch eine zylindrische Darstellung gelöst (hier ein Beispiel).
,,Ich weiß sie denken dieses Mittelerde Poster ist aber so schön…“
Schaut an seine Wand wo ein Herr der Ringe Poster klept das er bis jetzte als Vorbild benutzt hat… xD